Luise Graab 02.07.2020 10:00:00 13 min read

Datengetriebenes Marketing und CRM in Zeiten von Corona - ein Interview

Dieses gekürzte Interview entstand im Rahmen des Shift/CX Virtual Talks - die digitale Diskussionsrunde von Kongress Media zu aktuellen Themen rund um das Customer Experience Management. Das Interview führte Björn Negelmann mit Dr. Michael Wolff, Gründer und Geschäftsführer von thaltegos und Dr. Michaela Hamori-Satzinger, Geschäftsführerin bei factory42.

Björn Negelmann: Bekommt "datengetriebenes Marketing und CRM" mit der Corona-Krise und der zwanghaften Digitalisierung seinen nächsten Schub? 

Dr. Michaela Hamori: Aus Technologie und Prozesssicht ein klares Ja.
Digitale Transformation hatten wir als Thema Anfang des Jahres fast schon abgehakt. Themen rund um “Cross Channel Customer Experience Management”, “Convenience” und “Sustainability” waren stärker im Fokus.
Aber jetzt wird es ernst. Wer nicht wirklich oder nur halbherzig digitalisiert hat, hat jetzt ein Problem, seien es Mitarbeitersysteme die Online Arbeit möglich machen oder eben kundengerichtete Systeme und die dahinter stehenden ERP-Prozesse.
Insbesondere bei Themen rund um digitales Marketing sehen wir aktuell eine hohe Nachfrage. Wo sich Vertrieb und Marketing noch nicht integriert haben wird Druck gemacht, trotz der hohen wirtschaftlichen Unsicherheit.
Firmen müssen reagieren beispielsweise in

  • Retail (in Themen rund um Online Stores, Online Bestellungen, Online Service),
  • Medien (einbrechende B2B Werbeeinnahmen, noch mehr Fokus auf das Abonnentenbusiness) aber auch im
  • B2B Business, wo Events, Messen und Firmenbesuche als klassische Leadgenerierung des Vertriebs wegfallen. Marketing ist hier nun doppelt gefragt.

Jedoch sind diese Projekte teilweise “mit der heißen Nadel gestrickt” und bergen das Risiko als 60% Lösung lange bestehen zu bleiben. Was man dagegen tun kann? Vorhandene Systeme und Infrastrukturen nutzen, Standardtools nutzen anstatt selbst gebaute Lösungen.

Dr. Michael Wolff: Absolut - da die klassischen Vertriebs- und Marketingaktivitäten nicht mehr in der Mechanik greifen, wie es noch vor der Krise der Fall war.
Der Witz, dass Corona der beste CDO ist, kommt hier nicht von ungefähr. Hier gab es schon Nachholbedarf in vielen Branchen und die mangelnde Bereitschaft in die Digitalisierung auch in den Bereich Marketing und Vertrieb zu investieren, fällt nunmehr vielen Unternehmen geballt auf die Füße und vergrößert die Lücke zwischen denjenigen, die schon vorher klar auf die Digitalisierungskarte gesetzt haben und anderen, die hier halbherzig unterwegs waren.
Dies spiegelt sich auch in den aktuellen Kundenprojekten wieder.
Diejenigen, die schon vorher digital gedacht haben (also einen hohen Digital IQ besitzen), nutzen die Chance um die digitalen Lücken zu schließen, die sich durch die Krise hervorgetan haben.
Diejenigen mit einem niedrigen digitalen IQ verfallen gefühlt in eine Schockstarre und hoffen auf ein Ende der Krise, um dann weiter zu machen wie bisher. Nur das wird es nicht geben. Dies wird kein nachhaltiges Geschäftskonzept sein und der verloren gegangene Boden wird noch weiter erodieren. Für solche Unternehmen ist die Krise der ultimative Warnschuss. Entweder er wird gehört und jedes digital defizitäre Unternehmen definiert für sich, was dies im einzelnen bedeutet oder man wird zukünftig an Relevanz verlieren und vom Markt verschwinden.
Denn wenn eines die Krise gezeigt hat dann, dass sich Kundenverhalten rapide verändert - im aktuellen Fall durch ein Virus, in einem anderen durch ein disruptives Geschäftsmodell. Auf beides muss sich ein Unternehmen mehr denn je einstellen.

Björn Negelmann: Welche Herausforderungen stellen sich für die Technologien und die Organisationen auf dem Weg zum datengetriebenen Ansatz?

Dr. Michaela Hamori: Aus CRM Sicht sind es erst mal die mangelnde Convenience mancher Systeme, wenn man sich durch vielfache Reiter und Pflichtfelder klicken muss. Mitarbeiter möchten die Einfachheit die sie von ihren Smartphones kennen auch im Betrieb. Der Vertrieb ist ja im Allgemeinen kein Freund langweiliger Dateneinträge. Ohne Daten kein datengetriebenes Marketing. Hier bieten Corona-Zeiten die Möglichkeit “Modernisierungsinitiativen” umzusetzen.

Immer rigiderer Datenschutz - natürlich wichtig - aber gerade jetzt in Corona-Zeiten werden alle Firmen abgestraft, die sich auf Inbound Kanäle und stationäres Geschäft verlassen haben. Opt-Ins und Erreichbarkeit von Kunden sind das Thema der Stunde.
Das klingt nun etwas destruktiv, und natürlich kann man als Unternehmen dennoch aktiv werden, z.B. durch
    1. Outbound-Telefonie
    2. Klassisches Inbound Marketing mit Landing Pages und Progressive Profiling
    3. Social und Banner Advertising in Fachmagazinen
    4. LinkedIn Ansprache
    5. Und vor allem Nichtsdestotrotz findet man gute Ansätze in virtuellen Talks und Expertenrunden, virtuelle Einladungen zum gemeinsamen Gin oder Wine-Tasting rahmen derartige Veranstaltungen ab.

Onlineshops sind häufig noch nicht oder halbherzig realisiert (Herausforderungen in Supply Chain und Logistik).
Aus Technologiesicht nach wie vor historisch gewachsene Systemlandschaften in Kombination mit agilen Anforderungen (immer neue Kanäle und Systeme bzw. Plattformen). Point-to Point Datenintegrationen geben das nicht her. Der Wechsel auf Plattformsoftware kann aber auch nicht alles abdecken. Daher hat ja beispielsweise Salesforce letztes Jahr auch Mulesoft aquiriert. Ein guter Zug aus unserer Sicht. Natürlich gibt es hier inzwischen auch “kleinere Lösungen”, wir arbeiten mit Tools verschiedener Preisklassen.

Dr. Michael Wolff:
Erst eine Businesscase orientierten Roadmap von Anwendungsfällen entwickeln.
Dann die Daten und System-Implementierung angehen - nur wer vorher den Kurs definiert, weiß wo er hin will und was von der Mannschaft, der Technologie und den System-Lieferanten erwartet wird.
Damit verbunden: Die Customer Journey ganzheitlich denken und systematisch die Prozesse darauf hin entwickeln.
Ein entscheidender Punkt für den erfolgreichen Angang der Digitalisierungsoffensive von Marketing und Vertrieb wird die Aussöhnung der Online mit der Offline-Welt sein. "Tear down the wall" - nicht nur im Verständnis der Wichtigkeit füreinander, sondern auch die datenseitige Integration dieser beiden Welten.
Hier ist beim gegenseitigen Verständnis sowohl organisatorisch, als auch von der System- und Datenwelt großer Nachholbedarf. Häufig erscheint die Komplexität als so groß, dass man hier nicht wagt das Thema konsequent anzugehen. Hier ist es wichtig, die Strategie des Geschäftsmodells mit einer Datenstrategie systematisch zu verknüpfen.
Zudem muss die Datenqualität abgesichert werden. Hier gibt es ebenso einen riesigen Nachholbedarf. Und das fängt mit der Datenerfassung am Point of Truth an. Der First-Time-Right-Ansatz ist für viele noch nicht wirklich verstanden. Daten an der Stelle abzusichern, wo diese entstehen ist ein zentrales Element einer erfolgreichen Digitalisierung und der Analytics-Anwendungen.
Diese Dinge sind von zentraler Bedeutung und stellen die Grundlage dar, vertriebliche als auch Marketing-bezogene Intelligenz auch operativ anwenden zu können. Zahlreiche Projekte und Initiativen sind schon gescheitert, da der Business Case der Anwendung zu kurz gedacht war und / oder die Datenqualität nicht passte. Dass das System nicht die Funktionalitäten mitbringt, die man sich erhofft, aber nicht vorher geprüft hat.

Björn Negelmann: Welche Empfehlungen gibt es für die Umsetzung dieser Projekte?

Dr. Michaela Hamori:

  1. Keep it Simple: So wenig Plattformen/Systeme wie möglich, ordentliche Integrationslösung, nicht zu viel “selbst stricken”. Klein anfangen und ausbauen, mit dem großen Bild im Kopf.
  2. Keep it Convenient:
    Hinsichtlich der Prozesse und Systeme ist es nötig, die Interaktion und Eingaben so einfach wie möglich für den Kunden bzw. den Mitarbeiter zu machen.
    Wenn der Kunde Whatsapp lieber nutzt, als E-Mail (jüngere Zielgruppe) warum kein Whatsapp Service Channel? Warum x Pflichtfelder, wenn sich der Kunde nur registrieren möchte. Eine spielerische Experience wie z.B. bei der Neuanmeldung bei Spotify ist für mich persönlich hier immer noch ein Highlight. Diese kann auch nach der Anmeldung noch angefragt werden. Auch Checkoutprozesse im Shop sind neuralgisch oder auch Weiterleitungen von den Social Media zu (langsamen) eigenen Seiten oder lange Lieferzeiten oder oder. Ich denke, da gibt es viele Beispiele.
  3. Get Key Stakeholders excited: Das ist auch nach Corona nicht neu. Unser internes Motto bei factory42 ist es, für “begeisterte Kunden” zu sorgen. An allen Touchpoints und auch im Projekt den Kundenblick einnehmen und aktiv Verbesserungsvorschläge machen. Am liebsten sind mir Projekte, bei denen wir anfänglich skeptische Kunden überzeugen konnten.
  4. Keep Management involved: Auch diese Empfehlung ist “alt” aber immer noch gültig. Aufgrund der aktuellen Situation sehen wir aber mehr Management Involvement bzw. diese Themen werden aktuell vom Management priorisiert und auch begleitet. Die größeren Konzerne für die wir arbeiten haben beispielsweise ihre Projekte priorisiert, dabei landen unsere Projekte meist unter den Top-relevanten Projekten und laufen auch weiterhin.

Dr. Michael Wolff:

  1. Achten Sie auf eine fundierte Datenstrategie
  2. Dann die Data Governance und Organisation
  3. Schließlich die Implementierung

Software ist nicht die alleinige Lösung sondern ist ein mittel zum Zweck, um die Lösung effizient umzusetzen. Corona als Wake up Call ja - aber nicht als aktionistische Intervention - im Sinne eines Keep c start digital and going on...

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Luise Graab

Als Marketing & PR Managerin bei der factory42 verantwortet Luise Graab Marketingmaßnahmen von digitalen bis klassischen Werbemittel und -Kampagnen sowie Messe- und Eventplanung. Darüber hinaus ist sie Ansprechpartnerin für die Presse. Sie hat langjährige Erfahrung im digitalen Marketing mit speziellem Fokus auf E-Mail-, Social Media und Content-Marketing.